Nach 17 Monaten intensiver Arbeit mit einem breiten Kreis von Akteuren hat die Deutsche Energie-Agentur (dena) Anfang Oktober den Abschlussbericht der dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität veröffentlicht. Zehn wissenschaftliche Institute haben dazu ihre Expertise eingebracht und mehr als 70 Unternehmen ihre Branchenerfahrungen und Markteinschätzungen gegeben, ebenso ein 45-köpfiger Beirat mit hochrangigen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft.
Die Studie zeigt anhand eines zentralen Szenarios (Szenario Klimaneutralität 100, KN100), wie die Sektorziele im Jahr 2030 und Klimaneutralität im Jahr 2045 erreicht werden können und welche Energieträger hierbei in welchen Mengen benötigt werden. In den einzelnen Sektoren (Energie, Gebäude, Industrie, Verkehr) wird illustriert, welche Herausforderungen auf dem Weg zur Klimaneutralität bestehen und mit welchen Lösungsansätzen und Maßnahmen sie überwunden werden könnten.
Massive Anstrengungen sind in allen Sektoren erforderlich. So müssen im Gebäudebereich die CO2-Emissionen allein bis 2030 um 44 Prozent sinken (von rund 120 auf rund 67 Mio. t Kohlendioxid-Äquivalente (CO2ä)). Der Großteil der Minderungen (46,5 Mio. t CO2ä) entfällt auf Maßnahmen an der Gebäudehülle und technische Anlagen. Der Einsatz von Wärmepumpen, der Ausbau der Anschlüsse an Wärmenetze muss massiv vorangetrieben werden. Im Szenario KN100 werden für das Jahr 2030 bereits 4,1 Millionen Gebäude mit Wärmepumpen versorgt, im Jahr 2045 sieht die Studie 9 Millionen Wärmepumpen. In 2030 werden 1,3 Millionen weitere Wohnungen (gegenüber 2019) durch Wärmenetze versorgt werden, 2045 sind es dann 2,7 Millionen. Auch der Einsatz von klimaneutralen Brennstoffen muss sich schon bis 2030 mehr als verdreifachen, von heute 9 auf dann 32 Terawattstunden (TWh). Bis 2045 erfolgt eine weitere Vervierfachung auf 120 TWh. Aufgrund der Vielschichtigkeit des Gebäudesektors mit seinen sehr spezifischen Herausforderungen ist aus heutiger Perspektive ein klimaneutraler Gebäudebestand ohne Wasserstoff und klimaneutrale Gase nicht denkbar. Eine besondere Herausforderung ist der dafür erforderliche Umbau der Infrastruktur.
In den kommenden Jahren ist deutlich mehr Transformation im Gebäudesektor notwendig, als in den vergangenen Jahren bzw. Jahrzehnten stattgefunden hat. Dies betrifft unter anderem eine erhöhte Sanierungsrate, den Austausch von Anlagentechnik, den Wechsel von fossilen hin zu klimaneutralen Energieträgern sowie aus transformatorischer Sicht alternative Wohnkonzepte sowie neue Flächennutzungskonzepte. Im Zuge der Transformation des Gebäudesektors dürfen die Faktoren Wirtschaftlichkeit und Kosten sowie soziale Aspekte nicht unberücksichtigt bleiben. Entscheidend ist, die Geschwindigkeit des Umbaus des Gebäudesektors mit den dafür notwendigen Maßnahmen in der Praxis zu erhöhen. Die Veränderungen von heute legen den Grundstein für die Erreichung der Klimaziele bis 2030 und 2045.
Die Studie analyisert umfassend die aktuelle Situation u.a. im Gebäudesektor und beschreibt den notwendigen tiefgreifenden Transformationsprozess auf dem Weg zum klimaneutralen Gebäudebestand. Sie formuliert ausführlich zentrale Handlungsempfehlungen für die kommende Legislaturperiode, z.B. von der Weiterentwicklung der Fördersystematik über die Stärkung von Digitalisierung und Gebäudeautomatisation bis zum Prinzip des Worst first, also der priorisierten Sanierung energetisch schlechtester Gebäude. Mit der Handlungsempfehlung „Ausweitung der Energieberatung, Datenbasis verbessern, Energiebedarfsausweise stärken“ fordert der Bericht:
Die Energieberatung sollte systematisch ausgeweitet werden. Mit Blick auf die heterogene Eigentümer-, Investoren-, Nutzer- und Gebäudestruktur ist eine individuelle Beratung unerlässlich, um die Zahl der energetischen Sanierungen sowie deren Effektivität zu steigern. Sowohl für Wohngebäude als auch für Nichtwohngebäude sollte die Beratung deutlich ausgeweitet werden. Energieberatung sollte dabei möglichst unkompliziert ausgestaltet sein, unter Wahrung der notwendigen Qualitätssicherung, um entsprechende Investitionen nicht auszubremsen. Maßnahmen zur Qualitätssicherung sollten dabei neben der Listung von qualifizierten Experten auch die stichprobenhafte Kontrolle von Unterlagen und der Umsetzung vor Ort sowie die umfassende Information der Eigentümer umfassen. Um insbesondere die großen Einsparpotenziale der „Worst Performing Buildings“ zu heben, sollte eine Beratung auch aufsuchend stattfinden: Energieberaterinnen und -berater sollten befähigt und befugt werden, proaktiv auf Eigentümerinnen und Eigentümer zuzugehen, um diese für energetische Sanierungsmaßnahmen zu sensibilisieren.
Parallel zur Ausweitung der Energieberatung ist es notwendig, die an verschiedenen Stellen bereits vorhandenen Gebäudeenergiedaten im Altbestand zusammenzuführen und den Marktteilnehmern zugänglich zu machen. In diesem Zusammenhang sollte außerdem analysiert werden, ob bei Bedarf weitere Daten erfasst werden sollten.
Energieausweise mit Verbrauchsdaten sind aktuell nur bei Verkauf und Vermietung von Gebäuden verfügbar. Eine stärkere Durchdringung und Vereinheitlichung des Energieausweises möglichst hin zu belastbaren Bedarfsausweisen ist wichtig, um die Gebäude mit den schlechtesten Energieeffizienzwerten verlässlich zu identifizieren und ein genaueres Bild des Bestands zu bekommen. Aufgrund der begrenzten Ressourcen der Energieberaterinnen und -berater braucht es innovative und digitale Methoden zur flächendeckenden Erfassung des energetischen Zustands von Gebäuden.
Die Energieberatung sollte eng verzahnt mit der Inanspruchnahme von Förderung und ordnungsrechtlichen Instrumenten sein. Das heißt, Förderprogramme sollten eng gekoppelt mit einer entsprechenden Beratung durch qualifizierte Energieberaterinnen und -berater oder für bestimmte Einzelmaßnahmen durch die ausführenden Handwerksbetriebe (mit entsprechender Weiterbildung zum Energieberater) stattfinden. Gleiches gilt beispielsweise bei einer durch Vermietung oder Verkauf ausgelösten Sanierung.
„One Stop Shops“ auch auf regionaler Ebene können eine solche Verzahnung unterstützen. Der Aufbau solcher Anlaufstellen, in denen sowohl Informationen als auch praktische Unterstützung bei Beratung, Planung, Finanzierung, Vorbereitung und Begleitung der Sanierungsmaßnahmen angeboten wird und die auf diese Weise niedrigschwellig und unkompliziert Sanierungsvorhaben ermöglichen, sollte gefördert werden.
Der GIH ist bereit für diese große gesamtgesellschaftliche Aufgabe und wird mit seinen Mitgliedern den notwendigen Transformationsprozess aktiv mitgestalten.